"Tofufrikadellen verzehrende - betrunkene - Rastafaris gehören hier zum Alltagsbild genau wie die Wickelrockmuttis, welche hier generationenübergreifend ihre flächigen Tattoos präsentieren."
Pai ist eigentlich nur ein Dörfchen in der Provinz Mae Hong Son (Norden Thailands) auf der geteerten Route 1095 von Chiang Mai nach MHS. In gewissen Kreisen genießt der Ort aber Weltruf und das hat seine besondere Bewandnis. Nur wenige Kilometer südlich der burmesischen Grenze gelegen, kanalisierten Drogenbarone in ihrer Doppelfunktion als Warlord die Versorgung des bargeldreichen Thailands. Nirgendwo sonst im Königreich waren Rausch- und Suchtmittel günstiger zu bekommen.
Die Opiumfelder nördlich der unbefestigten Grenze und zahlreiche Trampelpfade im unwegsamen Gelände der Berglandschaft von Pai, hatten hier ihr Nadelöhr nach Thailand und in die „freie Welt“ definiert. Nächtliche Kuriere auf Jeeps, mit Geländemotorrädern oder auch per Pedes verdienten sich daran dumm und dämlich. Die Bandbreite der produzierten Substanzen umfasste eine immer umfangreicher werdende Palette und Drogenküchen in den burmesischen Wäldern wurden einfallsreicher.
Amphetamine und das in Thailand bei Drogenkonsumenten so beliebte „Yabaa“ und „Ice“ ersetzten mit der Zeit die eher klassischen Rauschmittel vom transortierten Volumen her. Zu hoch erschien den Teilnehmern an diesem Geschäft die mögliche Gewinnspanne, um darauf zu verzichten. Die D-Barone Burmas finanzierten mit den Erlösen ihre Feldzüge gegeneinander und auch immer wieder gegen die Zivilbevölkerung des Landes. Hier in Pai und nördlich davon, hatte das „Goldene Dreieck“ eine logistische Zentralregion gefunden.
Hochgradig korrupte Ordnungshüter erlaubten viele Ungereimtheiten in Pai
Die Gesetzeshüter mit und ohne Uniform dieser Region genossen einen recht schlechten Ruf im Königreich bis etwa zum Millennium. Erst kurz danach ergänzten Militärs der Royal Thai Streitkräfte in konzertierten Aktionen mit der amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde DEA die sich zu oft lächerlich gemacht habenden Ordnungshüter vor Ort. Aufklärungsflüge in großer Höhe und Satellitenfotos verhalfen den Militärs zu beachtlichen Fahndungserfolgen, während Scharfschützenkommandos oder Handschellen die Kuriere am Boden nun bereits erwarteten. Die Polizei wurde nach und nach ausgetauscht oder „auf Regierungskurs eingenordet“. Das unschuldige Pai geriet plötzlich in das Visier aller Drogenfahnder und die Bergvölker im Umland hier, waren ihrer lukrativen Nebenbeschäftigung fortan beraubt.
Was ist an Pai nun so speziell für den Reisenden?
Der Mythos von Pai als Billigdiscounter von lustigen Kräutern zum Rauchen, heftigen Substanzen zum injizieren oder chemischen Produkten der burmesischen Meth-Labors, geriet ins Wanken. Das „Khao San Road“ Feeling und die Billigabsteigen der Low-Budget Backpackerszene manifestierten sich dagegen. In Pai bietet sich obendrein herrlichste Natur auf engstem Raum und die kulturelle Vielfalt der ethnischen Gruppierungen sorgte für Abwechslung.
Tofufrikadellen verzehrende Rastafaris an den Steintischen gehören hier zum Alltagsbild auf den Straßen von Pai genau wie die Wickelrockmuttis, welche hier generationenübergreifend ihre flächigen Tattoos präsentieren. Tattoos tragen hier auch die ergrauten Möchtegern-Outlawbiker auf ihren 175er Homorettas zur Schau.
Fast alle Langzeiturlauber und Residenten hier fahren ein wenig neben den üblichen Spuren. Entgleiste und abgedrehte Individuen fallen hier nicht sonderlich auf. Der heftig gealterte Ex-CIA Station-Chief oder sein DEA Spannmann rümpfen heutzutage noch nicht einmal mehr die Nase, wenn der Bergwind abends am Straßenrestaurant gelegentlich aromatische Rauchwölkchen von den scheinbar in Halbtrance befindlichen Backpackern vom Nachbarlokal her weht.
Alles wirkt sehr friedlich in Pai. Trekkingselige Touristen und die unverzichtbare Mountainbikerszene haben hier natürlich ein Eldorado entdeckt, oftmals nicht wissend um die geschäftige Vergangenheit des 2.000 Seelen Dorfes. Tagestouristen schöpfen hier den Rahm der landschaftlichen Sehenswürdigkeiten ab, verbleiben aber selten länger als wenige Stunden. Endurogangs nutzen Pai zum Auftanken und als billiges Nachtlager bei ihren geführten Querfeldeintouren, Naturforscher und Völkerkundler begegnen sich in den Freiluftspelunken des Ortes. Der etwas abstrakte Society-Mix von Pai, wird dem Reisenden oft erst so richtig nach der Weiterfahrt bewusst.
Autor & Fotograf | Michael Schaller, Gründer von Thailand-Spezialisten.com ©
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